wolfgang neumann l

Für Wolfgang Neumann

– Laudatio von Gerhard van der Grinten zur Verleihung des Kunstpreises der VR-Bank Ostalb am 17.9.21

Es war, als ob das Meer sich selbst verschlänge, durch die Erderschütterungen wie auf sich selbst zurückgeworfen würde.                                                            Plinius der Jüngere

Das ist Malerei von Wucht, prall, oft wüst, burlesk im Ton und nicht selten von finsterer Komik. Sie mag zuweilen ihre eigenen Subtilitäten überspielen, da sind sie. Das Leise versteckt sich im Lauten. Und man kann ja beileibe nicht behaupten, dass wir in leisen Zeiten lebten. Die Krise – und die Welt sieht sich ja nach wie vor einem Erreger ausgeliefert, der wesentlich kleiner und wesentlich dümmer ist als, sagen wir einmal, eine Grünalge, nur eben auch wesentlich gefährlicher – die Krise bringt nicht unbedingt das Beste im Menschen hervor, vielfach das Lauteste, den blinden Zorn, die bodenlose Borniertheit. Und die Gegenwart zeitigt politische Phänomene, die den Anstand  bis zur Obszönität desavouierten. Zudem ja noch im großen Zusammanhang der Biosphäre die Schädigung der Umwelt ein Maß erreicht hat, das sich durch eine Umkehrung womöglich gar nicht mehr wird beheben lassen. Was werden wir für eine Erde hinterlassen. Und was werden unsere Nachkommen uns dafür an den Hals wünschen.

Insofern, und nicht nur in diesem Sinne, sind Wolfgang Neumanns Bilder ein Spiegel ihrer Zeit, oder besser: sie halten ihr den Spiegel vor. Denn ihnen eignet sehr wohl auch die Eulenspiegelei, die ja immer ein Ausdruck von Humanismus gewesen ist, der Schalk, der Witz, auch dessen bodenlose Variante. Denke man an nur Sebastian Brandts Narrenschiff oder das Lob der Torheit des Erasmus. Wer sehen kann, dem ist es nun einmal aufgegeben, an der Vernageltheit der Welt zu leiden. Komik ist dagegen eine Waffe. Und sie ist scharf.

Umso mehr, als ja nun diese Bilder die Gegenständlichkeit nicht verleugnen, im Gegenteil gerät doch manches kenntlich bis über die Schmerzgrenze hinaus. Sich im Ungefähren, im Unstofflichen der Abstraktion zu verhalten, hätte ja auch stets die Neigung, der Welt und ihren unangenehmen Seiten aus dem Weg zu gehen. Wer aber deutlich wird, der kommt um die Stellungnahme nicht herum, nicht um die Position, die er bezieht. Nicht um die Haltung.

Nun würde aber die Kunst, die sich in erster Linie für die Parole in Stellung bringt, sich soweit schwächen, dass die inhaltliche Absicht vor der künstlerischen Formung käme. Dann haftet sie zeitlich am Aktuellen. Und verdämmert damit, dass über alles, was nur aktuell ist, die Zeit eben auch hinweggeht. Nichts ist kurzlebiger als der Augenblick. Nur unterlaufen dieser Gefährdung seine Bilder nicht.

Denn da ist einmal: die schiere malerische Qualität. Selbst wo der Zugriff an die rüden Gesten eines Expressionismus denken lässt, so ist die formale Lösung der bildnerischen Probleme stets sicher, und sind auch die Flächen, die den Figuren und ihren Aktionen Umraum bieten, durchgestaltet, durchgearbeitet und nie leer in dem Sinne, das da, wo nichts ist, künstlerische Verlegenheit wäre.

Und da ist auch: diese Malerei, die sich sehr bewusst dessen ist, was sie der Kunstgeschichte verdankt, den Rubensschen Himmelsstürzen, den aberwitzigen Szenerien eines Hieronymus Bosch und Höllen-Breughels, den anamorphotischen Verformungen, wie sie der Manierismus hervorgebracht hat: die Verzerrungen und Übersteigerungen der Gestalten, die bald Vexierspiel, bald Augentäuschung, bald doppelsinnig werden. Und darum ist nicht, was in diesen Bildern geschieht, künstlerisch ahnungslos oder naiv gegenüber seinen Ausdrucksmitteln, seinen Topoi, den Symbolen. Das aber unterscheidet seine Bilder von all denjenigen, die atemlos Anlauf nehmen, und zu kurz springen.

Das hier buhlt nicht um Sympathie und schon gar nicht wartet es mit aesthetischem Geglättetsein auf. Ganz im Gegenteil, die Grellheit ist zuweilen durchaus anstößig, und sie will ja auch den Anstoß setzen, das funktioniert mit sachtem Schulterklopfen nicht, und ebensowenig mit braven Possierlichkeiten. Doch ist etwa bei näherer Betrachtung die Coloristik dieser Bilder ausgesprochen delikat, die Anatomie sicher, der Raum bewältigt, und nichts hingerotzt. Wild-Losgelassenes nicht nachlässige Geste, sondern Ausdrucksnotwendigkeit. Und in manchem ist es dem kolossalen Lachen der Neuen Prächtigkeit verwandt.

Hier sind Giganten, Titanen, Chimären mit all dem wüsten Wüten der Antike in Kämpfe und Auseinandersetzungen verwickelt, manche davon archaisch, manche atavistisch, unbehaust: theatralische Tumulte, Szenen und Tableaus. Nur fehlt dem alles Pathos. Weit öfters sind die Handlungen und Tätigkeiten und Gefechte vollkommen irrwitzig. Und darin ein treffender Kommentar zur Absurdität und Endlichkeit der Existenz. Zuweilen gerät es zu gallenbitterer Farce. Saftig, fleischig, lebensprall.

Figürlich Deformierte wesen hier, mental wie körperlich. Eingewickelt in Stoffbahnen, die sich bei näherer Betrachtung als Atemmaske erweisen, suchen sie Schutz vor der Nachstellung durch Smileys, die einen alles andere als behaglichen Ausdruck zeigen. Andere Akteure schweben an solchen Masken wie an Paraglidern aus dem Firmament herab. Wieder andere surfen auf  Sperrmüll über die Ozeane. Tester rühren Zuckerwatte in den aufgelassenen Innereien ihrer Gegenüber, die Organisten tragen ebendiese, die eigenen Organe nämlich, unter den Armen spazieren, und der Hammer-Tanz erscheint als eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit. Ab und an: heimgesuchte Kinderbettchen, verstörtes Spielzeug. Im Urwald tummeln sich Zwitter- und Totemwesen, auch die Höhlen bevölkern sie, idyllisch wirkt das nicht. Und wenn auch nicht fliegende Untertassen, so greifen doch überdimensionale Big-Macs wie eine Luftschiffarmada an. Dazwischen spuken all die Ikonen und die Unsterne unserer Gegenwart, die nachdrücklichen wie die ganz banalen. Und gemahnen das Hier und Jetzt. Und morgen.

Doch bleiben all die Bilder der Eindeutigkeit enthoben, sie verrätseln ein Stück weit mit Symbol und Emblematik. Denn dem Betrachter bleibt sehr wohl aufgetragen, über sie nachzudenken. Ohne weiteres verkonsumieren lassen sie sich nicht. Sie verlören ja auch die Reibungsfläche damit. Man mag dann lachen über ihren heftigen Witz. Angefasst sein von der Wüstheit. Sich bewegen lassen von dem, was trotz allem darin tatsächlich schön ist.

Man mag sich angestoßen fühlen.

Biografie l

1977

Geboren in Filderstadt, lebt in Waiblingen

1997-1998

Studium an der PH Ludwigsburg

1998-2004

Studium Malerei/Zeichnung/Intermediales Gestalten an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

2002-2004

Studium an der Universität Stuttgart

Preise und Stipendien l

2001

1. Platz des Kurzfilmfestivals 2001 der Hochschule der Medien, Stuttgart

2004 / 2006 / 2008

Förderung der Stiftung LB-BW

2010-2013

Stipendium des Landkreises Esslingen

2021

Kunstpreis VR Bank Ostalb

Werke in öffentlichen Sammlungen l

Regierungspräsidium Stuttgart / Staatsgalerie Stuttgart / Stadt Bad Waldsee / Stadt Ludwigsburg / Städtische Galerie Ostfildern / Südzucker Kunstsammlung / Museum im Kleihues-Bau Kornwestheim / Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart / Kreissparkasse Ludwigsburg / Graphische Sammlung Backnang / Sammlung LBBW / Sammlung Hypovereinsbank / Landkreis Esslingen / Stadt Ehingen / Akademie der Künste Berlin (Aras Ören Archiv)

Bibliografie l

Wolfgang Neumann: Links zu Fabian, Ausst.-Kat., Galerie in der Zehntscheuer Zuffenhausen 2001, Ludwigsburg, 2001

Wolfgang Neumann. Kugelsicher, hrsg. von Wolfgang Neumann, Ludwigsburg 2004

Wolfgang Neumann. Wanwiz, hrsg. von fine arts 2219. Galerie für Kunst und Gegenwart, Ausst.-Kat., fine-arts Galerie für Kunst und Gegenwart 2006, Kerber Verlag, Bielefeld/Leipzig 2006

Wolfgang Neumann. Mittelbemindert, hrsg. von Städtische Galerie Ostfildern und Colmar Schulte-Goltz, Ausst.-Kat. Städtische Galerie Ostfildern 2008, Kerber Verlag, Bielefeld/Leipzig 2008

Wolfgang Neumann. Ballaststoffe, hrsg. vom Kunstzentrum Karlskaserne, Ausst.-Kat., Kunstzentrum Karlskaserne, Ludwigsburg 2009

Wolfgang Neumann. Richtlinie, hrsg. vom Kunstverein Heidenheim, Ausst.-Kat., Kunstverein Heidenheim 2009, Verbrecher Verlag, Berlin 2009

Wolfgang Neumann. Sürpression, hrsg. vom Kunstverein Worms, Ausst.-Kat., Kunstverein Worms 2010, Traumbuch-Verlag, Marbach 2010

Wolfgang Neumann. Viva Navi Naiv, hrsg. von Irmgard Sedler, übersetzt ins Englische von Wilhelm von Werthern, Ausst.-Kat., Museum im Kleihues-Bau Kornwestheim 2011, Die Neue Sachlichkeit, Kornwestheim 2011

Wolfgang Neumann. Big Chewseum, Faltblatt zur Ausstellung, Egbert Baqué Contemporary Art 2011, Berlin 2011

Wolfgang Neumann. Ram Pixxs, hrsg. vom Verband Bildender Künstler und Künstlerinnen Württemberg, Ausst.-Kat., Show-Room Ravensburg 2012, Stuttgart 2012

Wolfgang Neumann. Hereinspaziert, Faltblatt zur Ausstellung Manege à deux, Schacher – Raum für Kunst 2012, Stuttgart 2012

Wolfgang Neumann. Labile Seitenlage, hrsg. vom Kunstverein Markdorf e.V., Ausst.-Kat., Stadtgalerie Markdorf 2013, Markdorf 2013

Wolfgang Neumann. Peak Flow, hrsg. vom Landkreis Esslingen, übersetzt ins Englische von Wilhelm von Werthern, Ausst.-Kat., Stipendiat des Landkreises Esslingen 2010–2013. Abschlussausstellung Steingießerei, Kulturpark Dettinger Plochingen 2013, Esslingen 2013

Wolfgang Neumann. Flashlight and Blackout, hrsg. von Egbert Baqué, übersetzt ins Englische von Wilhelm von Werthern, Ausst.-Kat., Egbert Baqué Contemporary Art, Berlin 2014, Edition Randgruppe, Stuttgart 2014

Wolfgang Neumann. Holiday on Eyes, hrsg. von Tobias Schrade, Ausst.-Kat., Galerie Tobias Schrade, Ulm 2014

Wolfgang Neumann. Werkbetrachtungen, Stuttgart 2014

Wolfgang Neumann. Geriatric Playground, hrsg. von Oberwelt e.V., Ausst.-Kat., Oberwelt e.V. 2015, Edition Randgruppe, Stuttgart 2015

Wolfgang Neumann. supermachtlos, hrsg. von Graphothek Stuttgart, Ausst.-Kat., Graphothek Stuttgart 2015, Verbrecher Verlag, Berlin 2015, [in Druck]

Wolfgang Neumann. frizzant brisant., hrsg. von Hospitalhof, Ausst.-Kat., Hospitalhof Stuttgart 2016, Stuttgart, 2016

Wolfgang Neumann, Virtual Earthlings, hrsg. Show-Room Ravensburg, Ausst.-Kat., Show-Room 2016, Verlag der PH Ludwigsburg, Ludwigsburg 2016

Wolfgang Neumann / Cordula Güdemann. Brüche und Blüten, hrsg. Kunstverein Ellwangen, Ausst.-Kat., Kunstverein Ellwangen, Ellwangen 2017

Wolfgang Neumann / Julia Wenz. Trap Smash Trap, Faltblatt Kunstverein Schorndorf, Galerie Q, Schorndorf, 2018

Wolfgang Neumann. True de Force, Edition-Randgruppe, Stuttgart 2019

Wolfgang Neumann. Hammer+Tanz, hrsg. Volksbank Ostalb, Ausst.-Kat., Museum Schloss Fachsenfeld, Aalen/Edition Randgruppe, Stuttgart 2021

Einzelausstellungen l

Auswahl aus den letzten fünf Jahren (k steht für Katalog zur Ausstellung erschienen)

2022

nuftlummer, galerie grandel, Mannheim

2021

Hammer und Tanz, Schloss Fachsenfeld (Kunstpreis VR Ostalb) [k] / Scheibenweise, Poly-Galerie, Karlsruhe

2020

Canvasationen (mit J. Braig) galerie grandel, Mannheim / Schnittstellen, Galerie im Gewerkschaftshaus, Stuttgart

2019

Mudd, Galerie der Stadt Ehingen / Sollbruchstelle, Galerie Schacher Stuttgart / Derivate, Künstlerbund Tübingen

2018

True de Force, Galerie der Stadt Tettnang / Kabinett, Kunstverein Böblingen / Trap-Smash-Trap, Wolfgang Neumann, Julia Wenz, Q Galerie, Schorndorf / Bloom, Egbert Baqué Contemporary Art, Berlin

2017

Brüche und Blumen (mit Cordula Güdemann) , Kunstverein, Schloss ob Ellwangen [K]

2016

Spülsaum, Malerei und Zeichnung, galerie grandel, Mannheim / frizzant brisant, Hospitalhof, Stuttgart [K] / Virtual Earthlings II, Show-Room, Ravensburg [K]

2015

Geriatric Playground, Oberwelt e.V., Stuttgart [K] / supermachtlos, Graphothek, Stuttgart [K]